Jugendliche in Krisensituationen

Resilienzorientierung

Ein relativ neuer und noch zu wenig bekannter und beachteter Ansatz zur Förderung und Unterstützung jugendlicher Entwicklung in schwierigen Situationen bietet die Resilienzforschung (Opp u.a. 2007). Der Begriff Resilienz stammt aus der Baukunde und beschreibt dort die Biegsamkeit von Material. Er lässt sich am Besten mit Widerstandsfähigkeit beschreiben und wird oft mit dem Bild „biegen statt brechen“ erklärt. Gewaltprävention und Gewaltforschung beschäftigt sich häufig mit den negativen Folgen von schlimmen Kindheitserfahrungen und Traumatisierungen. In den letzten Jahren hat sich jedoch im Rahmen der Resilienzforschung die Blickrichtung verändert. Forscher interessieren sich zunehmend für jene Menschen, die an seelischen Belastungen nicht zerbrechen, sondern daran wachsen: „Sie gedeihen trotz widriger Umstände“ so der Titel eines großen internationalen Kongresses 2005 (vgl. Hermann 2005; Enderlin/Hildenbrand 2008).

Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen, wobei dieser Prozess das ganze Leben hindurch andauert.

Bewältigungsressourcen Zu den wichtigsten personalen Bewältigungsressourcen gehören u.a. Optimismus, internale Kontrollüberzeugungen, Selbstwirksamkeitserwartungen, positive Illusionen und Selbstkomplexität. Zu den wichtigsten sozialen Ressourcen für die Problem- und Krankheitsbewältigung zählen die soziale Unterstüt­zung und die Qualität der sozialen Beziehungen.
Vgl. Bodo Klemenz: Ressourcenorientierte Diagnostik und Intervention beiKindern und Jugendlichen. Tübingen 2004, S. 26 ff.

Handlungsmöglichkeiten in Krisensituationen

Die Fragestellung der Resilienzforschung lautet also: warum können bestimmte Menschen oder Menschengruppen besser mit Schwierigkeiten und belastenden Situationen umgehen als andere, warum können sie Schicksalsschläge und traumatische Erlebnisse so verarbeiten, dass sie nicht aus der Bahn geworfen werden? Dabei ist das Ziel, protektive Faktoren identifizieren und entwickeln zu können sowie vorhandene Fähigkeiten und Kompetenzen weiter zu fördern und zu stärken, die Selbstheilungskräfte und sozialen Netzwerke zu aktivieren und somit „schützende“ Faktoren und Beziehungen entwickeln und stabilisieren zu können. Resilienzforschung ist nicht nur im westlichen Kulturkreis angesiedelt und auch nicht nur auf diesen bezogen.

Resilienz ist mehr als Anpassung an widrige Verhältnisse, ist mehr als pures Durchstehen oder überleben, denn resilientes Verhalten zeigt ein Mensch nicht trotz, sondern wegen dieser widrigen Verhältnisse. Resilienzforschung weist darauf hin, dass Menschen nicht einfach Produkte ihrer Umstände oder ihrer Sozialisation sind, sondern sich auch aus eigener Kraft entwickeln können.

Ermutigungen

  1. Nimm das Kind so an, wie es ist.
  2. Zeige deinen Glauben an das Kind und befähige es dadurch, an sich selbst zu glauben.
  3. Glaube ernsthaft an die Fähigkeiten des Kindes und gewinne sein Vertrauen, solange es sein Selbstvertrauen aufbaut.
  4. Erkenne eine Arbeit als „gut gemacht“ an und gib Anerkennung für die Bemühung.
  5. Nutze die Gruppe der Mitschüler, um die Entwicklung des einzelnen Kindes zu fördern.
  6. Sorge dafür, dass jedes Kind sich seines Platzes in der Gruppe sicher sein kann.
  7. Hilf regelmäßig bei der Entwicklung von Fertig­keiten, um Erfolg sicherzustellen.
  8. Erkenne die Stärken und Vorzüge des Kindes und stelle diese in den Mittelpunkt.
  9. Nutze das Interesse des Kindes, um konstruktive Tätigkeiten anzuregen.

Rudolf Dreikurs/Bernice Bronia Grunwald/Floy C. Pepper: Lehrer und Schüler lösen Disziplinprobleme. Weinheim und Basel 2007, S. 101 f.

Resiliente Kinder verfügen über Schutzfaktoren, welche die negativen Auswirkungen widriger Umstände abmildern (Nuber 2005, S. 21 ff.):

  • Sie finden Halt in einer stabilen emotionalen Beziehung zu Vertrauenspersonen außerhalb der zerrütteten Familie. Großeltern, ein Nachbar, der Lieblingslehrer, der Pfarrer oder auch Geschwister bieten vernachlässigten oder misshandelten Kindern einen Zufluchtsort und geben ihnen die Bestätigung, etwas wert zu sein. Diese Menschen fungieren als soziale Modelle, die dem Kind zeigen, wie es Probleme konstruktiv lösen kann. 

Psychische Grundbedürfnisse
Bedürfnis nach ...

  • Kontrolle/Orientierung (die relevante Umwelt verstehen, vorhersehen und beeinflussen können);
  • Bindung (das Erleben lang andauernder emotionaler Beziehungen zu nicht auswechselbaren Bezugspersonen);
  • Selbstwertstabilisierung/Selbstwerterhöhung (sich selbst als „gute“ Person sehen);
  • Lustgewinn/Unlustvermeidung (Erleben von angenehmen und Vermeiden von unangenehmen Zuständen).
Michaels Borg-Laufs/Anna Menzel: Psychische Grundbedürfnisse bei gesunden und bei psychisch kranken Kindern und Jugendlichen. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. In: Verhaltenstherapie mit Kindern & Jugendlichen. Zeitschrift für die psychosoziale Praxis, 4. Jg, 2/2008, S. 90
  • Weiterhin wichtig ist, dass einem Kind, das im Elternhaus Vernachlässigung und Gewalt erlebt, früh Leistungsanforderungen gestellt werden und es Verantwortung entwickeln kann. Zum Beispiel indem es für kleine Geschwister sorgt oder ein Amt in der Schule übernimmt.
  • Auch individuelle Eigenschaften spielen eine Rolle: Resiliente Kinder verfügen meist über ein „ruhiges“ Temperament, sie sind weniger leicht erregbar. Zudem haben sie die Fähigkeit, offen auf andere zuzugehen und sich damit Quellen der Unterstützung selbst zu erschließen. Und sie besitzen oft ein spezielles Talent, für das sie die Anerkennung von Gleichaltrigen bekommen.

Resilienz lernen

Resilienz ist nicht Schicksal, sondern kann man lernen. Die Amerikanische Psychologenvereinigung (APA) schickt deshalb speziell geschulte Psychologen in die Schulen, um Kindern beizubringen, wie sie mit den unvermeidlichen Widrigkeiten des Lebens am be­sten fertig werden. Sie trainieren sie in resilientem Verhalten. Das Programm, das über das übliche soziale Kompetenztraining hinausgeht, will Kindern helfen, mit alltäglichen Stresssituationen wie Schikanen, schlechten Noten oder Enttäuschungen umzugehen, aber auch vor schwerwiegenderen Problemen wie Vernachlässigung, Scheidung der Eltern oder Gewalterfahrungen nicht zu kapitulieren. Beigebracht werden den Kindern die Kernpunkte der Resilienz (Nuber 2005, S. 23):

  • Suche dir einen Freund und sei anderen ein Freund.
  • Fühle dich für dein Verhalten verantwortlich.
  • Glaube an dich selbst.

Die sieben Resilienzfaktoren für Kinder suchtbelasteter Familien

  1. Einsicht, z.B. dass mit dem alkoholabhängigen Vater etwas nicht stimmt;
  2. Unabhängigkeit, etwa sich von den Stimmungen in der Familie nicht mehr beeinflussen zu lassen;
  3. Beziehungsfähigkeit, beispielsweise in eigener Inititative Bindungen zu psychisch gesunden und stabilen Menschen aufzubauen;
  4. Initiative, zum Beispiel in Form von sportlichen und sozialen Aktivitäten;
  5. Kreativität etwa in Form von künstlerischem Ausdruck;
  6. Humor, beispielsweise in Form von Sarkasmus und Ironie als Methode der Distanzierung;
  7. Moral, zum Beispiel in Form eines von den Eltern unabhängigen stabilen Wertessystems.
Michael Klein: Alkoholsucht und Familie. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B28/2008, S. 25.

Eine unbedingte Voraussetzung und Grundlage für die Herausbildung von Resilienz ist die Zugehörigkeit zu einem größeren Verbund von Menschen, der über die Familien hinausgeht. Diese wird jedoch zunehmend durch den Prozess der Modernisierung und Individualisierung in Frage gestellt. Um günstige Bedingungen für Resilienz entwickeln zu können, ist die Entwicklung von Gemeinwesen, Freundeskreisen, Nachbarschaft oder religiösen Gemeinschaften und konstruktiven Gruppen notwendig.

Resilienzförderung bedeutet nicht nur individuelle Kompetenz förderung. Ebenso wichtig ist die Entwicklung grundlegender Rahmenbedingungen beispielsweise zur Unterstützung von Familien (Richter 2008, S. 607).

Das Resilienzkonzept darf jedoch nicht als Freibrief für die Politik verwendet werden („die individuellen Stärken werden sich schon durchsetzen“), sondern kann als Rahmen für effektive Präventionsarbeit verstanden werden, den es auszufüllen und zu stützen gilt. Das UNESCO Konzept einer schützenden Umwelt (protective environment) greift diesen Ansatz auf.

Was schützt:

  • Eine enge emotionale Beziehung zu mindestens einer Bezugsperson;
  • Die kognitiven Fähigkeiten des Individuums;
  • Ein aktiver Problembewältigungsstil;
  • Das Ausmaß an Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen;
  • Das Gefühl von Selbstwirksamkeit;
  • Körperliche Gesundheitsressourcen;
  • Das Ausmaß an wahrgenommener sozialer Unterstützung;
  • Das Erleben von Erfolg und Leistung – nicht nur durch gute Schulnoten, sondern auch durch soziale Aktivitäten, die Verantwortung und Kreativität erfordern;
  • Das Geschlecht.

Die einzelnen Faktoren wirken nicht allein aus sich heraus, sondern entfalten sich oft erst in Interaktion mit anderen.
Antje Richter: Armut und Resilienz – Was stärkt arme Kinder? In: Verhaltenstherapie und Psychosoziale Praxis,3/2008, S. 600.

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