Schulentwicklung

Gute Schule

Eine „gute Schule“ ist eine gewaltfreie Schule, die durch ein Klima der Achtsamkeit und des Respekts gekennzeichnet ist, in der alle Beteiligten mitwirken und mitentscheiden, die schülerzentrierten, motivierenden und interessanten Unterricht gestaltet, die weltoffen ist und sich zugleich auch als eine Schulgemeinschaft versteht. Eine „gute Schule“ realisiert selbstverständlich die Grundprinzipien der Gewaltprävention, fördert die Schwachen, integriert verschiedene Gruppen, bietet vielfältigen, differenzierten, selbstentdeckenden, handlungsorientierten Unterricht an.

Viele Schulen haben sich nach dem „Pisa Schock“ in Deutschland in den letzten Jahren auf den Weg gemacht, Schule so zu gestalten, dass ein Lernen, das Kindern und Jugendlichen Freude macht und begeistert, und nicht Belehrung im Zentrum steht.

Dabei geht es nicht nur um einzelne Schulen, so wichtig es ist, dass diese ihren Spielraum nutzen und ausweiten, sondern auch um ein überdenken der Struktur des Bildungssystems und der Bildungs­inhalte, vor allem aber auch der Art zu lehren und zu lernen. Denn der „Bildung im Schulalter kommt eine Schlüsselrolle für die individuelle Entwicklung, für die gesellschaftliche Teilhabe und für die Vermittlung von Kompetenzen zu. Die zentrale Rolle der Schule findet nicht zuletzt ihren Niederschlag in der gesetzlich verankerten Schulpflicht“ (Arbeitsgruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 61).

Deshalb muss auch das Schul- und Bildungssystem insgesamt überdacht werden: Wenn der Schulabschluss weniger vom „Können“ der Schülerinnen und Schüler abhängig ist als von der sozioökonomischen Lage der Herkunftsfamilie, sind Ungerechtigkeiten programmiert. Und wenn eine ganze Schulform wie die Hauptschule zu einer „Restschule“ verkommen ist, sind änderungen angesagt. Denn der Bildungsabschluss entscheidet wesentlich über die zukünftigen Lebenschancen.

Die Phantasie herausfordern Nachhaltiges Lernen braucht Räume, die dazu einladen, hellwach und ganz gegen­wärtig zu sein. An kultivierten Orten der Intelligenz entstehen der Eigensinn von Individuen und auch Liebe zur Welt. Soll Lernen dazu befähigen, Zukunft zu schaffen, dann müssen wir heute Schulen, Kindergärten und Hochschulen zu exemplarischen Orten im übergang der Industriegesellschaft zu einer Wissens- und Ideengesellschaft umbauen. also Abschied davon nehmen, Menschen überwiegend von außen zu steuern, und stattdessen ihren Willen und die Phantasie herausfordern und Selbstverantwortung stärken.
Reinhard Kahl: Konjunkturpaket 3. In: Pädagogik,5/2009, S. 64.

Der Bildungsbericht 2008 der Bundesregierung (S. 7, 74 f.) zeigt deutlich die Situation an Deutschlands Schulen:

  • In Deutschland lebte 2006 mehr als jedes zehnte Kind unter 18 Jahren in einer Familie, in der kein Elternteil erwerbstätig ist. Bei über 3,4 Millionen, bzw. 23 % der Kinder lag das Einkommen der Familie unter der Armutsgefährdungsgrenze. 13 % der Kinder wuchsen in Familien auf, in denen niemand über einen Abschluss des Sekundarbereichs II oder höher verfügte. Dies wirkt sich auf die Bildungswege der Kinder und Jugendlichen unmittelbar aus. Von mindestens einer dieser Risikolagen sind 4,2 Millionen oder 30 % aller Kinder betroffen. Seit dem Jahr 2000 war bei dieser Kennziffer nur ein geringfügiger Rückgang um einen Prozentpunkt zu verzeichnen.
  • Deutschland hat neben Italien einen im internationalen Vergleich besonders hohen Anteil an älteren Lehrerinnen und Lehrern im Schulwesen.

  • Etwa zwei Drittel des pädagogischen Personals der allgemeinbildenden Bildungsgänge waren im Schuljahr 2006/07 Frauen. In Ostdeutschland betrug dieser Anteil sogar 79 %.

  • Mädchen werden im Durchschnitt früher eingeschult, haben bes sere Leistungen in der Schlüsselkompetenz „Lesen“, bleiben seltener ohne Schulabschluss, bewältigen erfolgreicher und schneller den übergang von der Schule in die Berufsausbildung, absolvieren eine Ausbildung eher im anspruchsvolleren Segment der Berufsgruppen, erwerben deutlich häufiger die Hochschulreife, brechen ein Studium seltener ab, bilden die Mehrheit der Hoch­schulabsolventen und nutzen als Berufstätige die Angebote der Weiterbildung intensiver.

  • Internationale Schulleistungsstudien zeigen, dass die Kopplung zwischen sozialem Status der Herkunftsfamilie und erworbenen Kompetenzen in Deutschland nach wie vor stärker ausgeprägt ist als in anderen Staaten.

  • Im Bundesgebiet wiederholten 2006/07 insgesamt etwa 234.000 Schülerinnen und Schüler vom Primar- bis zum Sekundarbereich II eine Jahrgangsstufe. Dies entspricht einem Anteil von 2,7 % der Schülerpopulation. 

  • Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sind selbst bei gleichem Sozialstatus seltener auf dem Gymnasium und häufiger in den niedriger qualifizierenden Schularten. Ausländische Jugendliche verlassen doppelt so häufig wie deutsche eine allgemeinbildende Schule, ohne zumindest den Hauptschulabschluss zu erreichen, während deutsche dreimal so häufig die Hochschulreife erwerben.

  • Die hohe Zahl von Abgängern ohne Abschluss stellt ein erhebliches gesellschaftliches Problem dar. Dieses wird auch kaum dadurch gemildert, dass die Gelegenheit, einen allgemeinbildenden Schulabschluss in Anschlussbildungsgängen nachzuholen, zunehmend in Anspruch genommen wird. Im Jahr 2006 haben rund 76.000 Schülerinnen und Schüler, d.h. 8 % der Bevölkerung im Alter von 15 bis unter 17 Jahren, die Schule verlassen, ohne zumindest über den Hauptschulabschluss zu verfügen.

  • Im Unterschied zu vielen anderen Arbeitsfeldern der Pädagogik ist in der Kinder- und Jugendarbeit das Angebot an öffentlich geförderten Maßnahmen in den letzten Jahren im Bundesschnitt zurückgegangen.

Sackgasse Das Schulsystem ist in der Sackgasse. Eindeutig. Dass die Hauptschule als letztes Auffangbecken fungiert und dort mittlerweile nur die Kinder sind, die es woanders nicht geschafft haben, ist schlecht. Wie der Name Hauptschule sagt, war sie ursprünglich die Schule, die die meisten Kinder besuchten. Mittlerweile sind auf der Hauptschule fast nur noch schwache Schüler, die sich gegenseitig runter ziehen und ohne berufliche Zukunft sind. Das ist eine brutale Botschaft, die die Schüler schon längst verstanden haben. Es gibt für sie keine Perspektive.
„Die haben sich ausgeklinkt“. Interview mit Professor Klaus Hurrelmann. In: Das Parlament, 15/16, 2006, S. 3.

Schulqualität

Bereits 1979 wurden in einer umfangreichen englischen Studie folgende Merkmale von Schulqualität formuliert:

  • eine deutliche und in der Schule für jeden spürbare Wertschät­zung des Lernens und guter schulischer Leistungen;
  • klar strukturierter Unterricht, in dem wenig Zeit für sachfremde Tätigkeiten aufgewendet wird;
  • eine schülerzentrierte Atmosphäre, in der eher Lob als Tadel Verwendung findet und in der die Schüler sich als Personen ak­zeptiert fühlen;
  • Möglichkeiten der Mitsprache und der übernahme der Verant­wortung für die Schüler;
  • geringe Fluktuation sowohl im Kollegium als auch in der Zu­sammensetzung der Lerngruppen;
  • enge Zusammenarbeit und Wertkonsens im Kollegium (Rutter u.a. 1979; Posch/Altrichter 1999, S. 2).

Die hier formulierten Erkenntnisse wurden durch zahlreiche spä­tere Untersuchungen bestätigt und bilden den Kern einer „guten Schule“. Schulentwicklungs- und Schuleffektivitätsforschung bestätigen so die zentrale Bedeutung von sog. „weichen“ sozialen Komponenten für die Schulqualität. Die Art des Umgangs, die Angstfreiheit, Wertschätzung und der gegenseitige Respekt be­einflussen über das Wohlbefinden und die Akzeptanz auch zentral das Leistungsvermögen und das Leistungsniveau. Denn eine gute Schule zeichnet sich natürlich gerade auch dadurch aus, dass die Schülerinnen und Schüler ein hohes Lernniveau erreichen.

Schulqualität wird, so Rolff (2004, S. 6), heute ganzheitlich verstanden. Feedback-Kultur und Teamarbeit sind dabei die beiden effektivsten Stränge von Schulentwicklung. Wichtig für die Schule ist es, so Rolff, zu wissen, wo man steht. Wichtiger noch, sich klar zu machen, wohin man will bzw. muss.

Feedback-Kultur Eine Feedback-Kultur entsteht, wenn reflektierende Dialoge Teil der Arbeits- und Alltagskultur von Schule werden: Dialoge über Unterricht und Erziehung zwischen Lehrern und Schülern, zwischen Lehrern und Lehrern, zwischen Lehrern und Schulleitern und zwischen Lehrern/Schulleitern mit Eltern und Erziehungsberechtigten. (...)

Durch Feedback kann ein Klima gegenseitiger Wertschätzung entstehen. Das ist das, was in Deutschland am meisten fehlt und vermutlich für Gesundheit wie Qualität am besten wirkt: ein Ethos der Wertschätzung, wo Freiheit, Verantwortung und Toleranz den Umgang bestimmen und das Wohlergehen aller Beteiligten das Leitbild für Erziehung wird.
Hans-Günther Rolff: Gesundheitsförderung und Schulqualität. Kongress, 15.+16.11.2004 in Dortmund. Manuskript des Vortrags, S. 7.

Eine gute Schule ist eine gewaltfreie Schule

Gewaltprävention und Schulentwicklung

Eine gute Schulqualität, also eine gute Schule, wirkt von sich aus gewaltpräventiv auch wenn dies nicht der erste und vor allem nicht der einzige Grund sein darf, eine gute Schule anzustreben. Denn Schule ist nicht deshalb gut, weil sie Gewalt verhindert, sondern, weil sie eine gute Erziehung ermöglicht, weil sie den Schülerinnen und Schülern Spaß macht, ihre Neugier befriedigt, ihren Horizont und ihr Weltwissen erweitert, soziale Kompetenzen ausbildet und ganz nebenbei auch noch präventive Wirkung hat (Thiersch 2007).

Unter den Fachleuten herrscht Einigkeit: Will man eine wirksame und auf Dauer angelegte Gewaltprävention, benötigt man Schulentwicklung. Die Maßnahmen und Modelle der Gewaltprävention entfalten ihre Wirkung erst, wenn die gesamte Schule (die Schule als System) einbezogen wird und sich als lernende Schule versteht. Gewaltprävention wird so in einen Prozess der Schulentwicklung integriert oder stößt diesen sogar an (Dünkel u.a. 2007).Wirkungsanalysen von Maßnahmen der Gewaltprävention zeigen immer wieder, dass isolierte Programme wie Schülerberatung, Lehrertraining und Freizeitangebote kaum Effekte zeigen, solange sie nicht Bestandteil umfassenderer multimodaler Programme sind. Soziale Kompetenztrainings und Elterntrainings zeigen zwar auch isoliert positive Effekte, doch fallen diese weitaus größer aus, wenn beide Maßnahmen kombiniert werden (Scheithauer 2008, S. 79).

Vision einer guten Schule
Die Schule ist ein Gemeinschaftswerk aller Beteiligten, die mit- und füreinander Verantwortung übernehmen: Die Schule als „Polis“. Die Pädagoginnen und Pädagogen, die Schülerinnen und Schüler, die Eltern, die Kommune mit ihren Möglichkeiten und auch außerschulische Institutionen wirken zusammen, um mit dem Anspruch „Wir dürfen kein Kind verlieren“ Ernst zu machen.

  • Sie handeln nach dem Grundsatz: Zuerst und vor allem kommt es darauf an, dass es den Kindern und Jugendlichen in der Schule an Leib und Seele gut geht. Das beginnt mit scheinbaren „Kleinigkeiten“, die aber bald als Standards gelten: ein gutes, nahrhaftes Frühstück oder Mittagessen, ein Gesundheits- und Beratungsdienst, ein flexibler, den Bedürfnissen der Kinder angepasster Tagesrhythmus, gute Möbel, Ausstattung der Schule mit vielfachen Lerngelegenheiten, Ausstattung der Klassen und Arbeitsplätze mit handlichen, anregenden, gut geordneten Materialien, genügend Platz zum Lernen, Spielen und Bewegen.

  • Zum Kern der Entwicklungsarbeit wird die Neugestaltung des Unterrichts und der Lernangebote. Die Vorgabe ist: Lernen muss – auch bei aller unverzichtbaren Mühe und Anstrengung – Freude machen, mit Anschauung und Erfahrung verbunden sein, geschieht am besten in der Auseinandersetzung mit bedeutsamen Gegenständen und findet darum oft auch außerhalb der Schule statt. Bewährung und Ernstfall gehören ebenso dazu wie Belehrung und systematisches üben. Die Schule stellt hohe Anforderung an alle Beteiligten und bietet zugleich vielfältige Unterstützung.

  • Die Schule ist einladend, freundlich und anregend gestaltet, ein Ort, an dem Kinder den ganzen Tag über gern und gut leben und lernen können. Niemand wird beschämt, niemand muss sich als Versager fühlen. Darum ist das Sitzenbleiben abgeschafft, der Unterricht ganz darauf ausgerichtet, der Unterschiedlichkeit der Kinder gerecht zu werden. Die Schule hat deshalb neue Formen der Leistungsbegleitung und -bewertung entwickelt: verpflichtende Beratungsgespräche, Lernvereinbarungen, Portfolios.

  • Die Schule arbeitet selbstständig und eigenverantwortlich; so wird ihre ganze pädagogische Kreativität freigesetzt. Die starren Jahrgangsklassen sind durch flexible Lernformen und Lerngruppen ersetzt worden: An dieser Schule ist es beispielsweise normal, dass Zwölf- und Vierzehnjährige zusammen Englisch lernen oder im Labor experimentieren können. Haupt- und Nebenfächer gibt es an dieser Schule nicht: Theater, Handwerk, Musik oder Religion gelten als ebenso wichtig wie Englisch oder Mathematik. Der Umgang mit Sprache und Literatur ist nicht auf das Fach Deutsch beschränkt, sondern Aufgabe aller Fächer. Tests werden als diagnostische Hilfsmittel genutzt.
Schulentwicklung: Gute Schule
Die Schule arbeitet eng mit einem wissenschaftlichen Institut oder anderen Experten zusammen; gemeinsam wird beraten und beschlossen, wie Lernprozesse beobachtet und evaluiert werden können. Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler werden nach dem indivi­duellen Lernfortschritt bewertet. Als Orientierungsrahmen dienen fachliche Mindeststandards, die die Stufen des Lernens abbilden und an denen sich zeigen lässt, was bereits erreicht wurde. Am Ende der Schullaufbahn wird an Beispielleistungen aus allen Bereichen nachgewiesen, was ein Schüler/eine Schülerin gelernt hat und kann. Dieses Leistungsportfolio schließt den Nachweis elementarer, von allen verlangter und erreichbarer Grundkenntnisse und Kompetenzen ein. Ein verzweigtes, früh greifendes Unterstützungssystem sorgt dafür, dass alle Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs diese Grundkenntnisse nachweisen können. Sie verlassen die Schule mit einem Zeugnis, das von den abnehmenden Einrichtungen als Anschlussnachweis zu lesen ist und eine übersicht über das gesamte Leistungsprofil enthält. Schulverband „Blick über den Zaun“: Schule ist unsere Sache – ein Appell an die öffentlichkeit. Erklärung von Hofgeismar 2006, Auszug. www.blickueberdenzaun.de

TALIS-GEW-Studie
Die GEW führte im Dezember 2008 eine repräsentative Befragung von Lehrkräften und Schulleitern durch. Einige Ergebnisse:

  • Schulen leiden nach Angaben von einem Viertel der Schulleitungen national und international erheblich unter Lehrermangel;
  • In Deutschland sehen mehr als die Hälfte der Schulleitungen das Unterrichten wegen des Fehlens von unterstützendem Personal beeinträchtigt;
  • Bauliche und räumliche Unzulänglichkeiten behindern effektives Lernen hingegen in großem Stil;
  • Ein Drittel der Lehrkräfte berichtet von Klassen mit mehr als 25 Schülerinnen und Schülern;
  • Sieben von zehn Lehrern in Deutschland werden nie oder seltener als einmal im Jahr von Kollegen oder Schulleitern in ihren Klassen besucht;
  • Jeder Zweite unterrichtet so gut wie nie im Team.

GEW (Hrsg.): Wirksame Lehr- und Lernumgebungen schaffen. Erste Ergebnisse von TALIS-GEW (Deutschland) GEW-Workshop zur TALIS­Studie der OECD und der GEW-Onlinebefragung,18. Juni 2009, Berlin. www.gew.de/Binaries/Binary50253/3_GEW_First_ Results_deck.pdf

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