Kinderschutz in Kitas

Der staatliche Schutzauftrag für Kinder gilt auch für Einrichtungen der Kindertagesbetreuung: „Kinder für ihr Wohl vor Gefahren zu schützen, gehört deshalb zu den Pflichtaufgaben jeder Kindertageseinrichtung.“ (Maywald 2011, S. 6)

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Einrichtungen können, wenn sie entsprechend geschult sind, schon frühzeitig Anzeichen von Misshandlung oder Verwahrlosung wahrnehmen und haben deshalb auch eine besondere Verantwortung aber auch eine besondere Herausforderung. Was Susanna Lillig (2006, S. 43–1) für den Bereich des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) formuliert, gilt auch für Fachkräfte in Kindertagesstätten: „Die Arbeit in Fällen von Kindeswohlgefährdung gehört für viele Fachkräfte mit zu den verantwortungsvollsten Tätigkeiten. (...) Es handelt sich um einen Arbeitsprozess, der möglicherweise hohe persönliche Belastung und unterschiedlich starke Unsicherheitsgefühle bei oftmals schwierigen Arbeitsbedingungen und mangelnden Handlungsleitlinien mit sich bringen kann. Diese Arbeit bedeutet professionelles Handeln in akuten oder chronischen Krisen- und Belastungssituationen einzelner Kinder und Familien.“ Erkennen von und Handeln bei Kindeswohlgefährdung ist immer Handeln im Kontext gesetzlicher Regelungen und Vorgaben. Die Handlungsschritte und Abläufe sind nicht beliebig und individuell bestimm-bar, sondern folgen vorgegebenen Anweisungen und Kriterien, um professionelles Handeln zu gewährleisten. Deshalb müssen die zuständigen Jugendämter schriftliche Vereinbarungen mit allen Einrichtungen über Aufgaben, Verfahrenswege und Abläufe bei Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung treffen. In jeder Einrichtung soll eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ tätig sein, die bei der Gefahreneinschätzung hinzugezogen werden muss. Ebenso sind die Kinder und Sorge-berechtigten bei der Gefährdungseinschätzung zu beteiligen und weitere Schritte zu planen. Um dies zu ermöglichen, ist die systematische Qualifizierung der Fachkräfte notwendig.

Obwohl bei der weit überwiegenden Zahl von Kindeswohlgefährdungen die Eltern als Verursacher gesehen werden müssen, können in bestimmten Fällen, etwa bei sexuellem Missbrauch, auch Dritte als Täter in Frage kommen. Dies können Personen außerhalb des Eltern-hauses sowie Mitarbeitende der Einrichtung sein. Die seit 2012 im SGB VIII (§ 72a) vorgeschriebene Vorlage eines polizeilichen Führungs-zeugnisses bei Neueinstellungen (und bei vorhandenem Personal in regelmäßigen Abständen) soll verhindern, dass sich bereits wegen Missbrauch verurteilte Täter in Einrichtungen einschleichen können.

Die Kinderschutzfachkraft
Der im Kinder- und Jugendhilfegesetz formulierte „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ (§ 8a SGB VIII) fordert von Diensten und Einrichtungen, bei Kindeswohlgefährdung systematisch vorzugehen.

Die Aufgaben einer Kinderschutzfachkraft nach § 8a SGB VIII sind hauptsächlich:

1. Erkennen einer Kindeswohlgefährdung
2. Risikoeinschätzung durch qualifizierte Beurteilung der Kindeswohlgefährdung.
3. Wissen um notwendige Verfahrensschritte, die ggf. durch die Fachkräfte einzuleiten sind.
4. Systematisches Handeln zum Schutz der Kinder in Gefährdungssituationen.

Alle Fachkräfte, die mit Kindeswohlgefährdung in Kontakt kommen können, sind gefordert, sich in der Wahrnehmung von Anhaltspunkten sowie im Handeln bei erkannter Kindeswohlgefährdung zu qualifizieren. (Internationaler Bund: Zertifizierte Weiterbildung zur Kinderschutzfachkraft. Flyer 2011, Auszüge)

Aufgaben der Kindertagesstätte
Die Aufgaben in Kindertagesstätten beziehen sich darauf, Risikofaktoren und Gefährdungen zu kennen und diese in der Praxis auch recht-zeitig zu erkennen. Es muss eine erste Gefährdungseinschätzung unter Einbeziehung einer Fachkraft vorgenommen werden und es ist weiter abzuklären, ob der Fall ggf. dem Jugendamt zu übergeben ist. Da es keine genauen Indikatoren für das Gefährdungsrisiko gibt, ist die gemeinsame Einschätzung von Fachkräften eine zentrale Aufgabe. Es geht dabei immer sowohl um den Schutz gefährdeter Kinder als auch um Hilfen für die Familie (vgl. Lillig 2007, S. 43–1).

Kindeswohlgefährdung im KindergartenalterUmgang mit Eltern und Umgang mit dem Kind
Besondere Herausforderungen ergeben sich in Gefährdungssituationen für den Umgang mit Eltern, bei denen Vernachlässigung und Miss-handlungen vermutet werden oder tatsächlich gegeben sind. Trotz der schwierigen Situation muss zum Wohl des Kindes ein „Arbeitsbündnis“ mit ihnen ermöglicht werden (vgl. Lillig 2007). Es geht dabei um die Erarbeitung eines gemeinsamen Problem- und Lösungsverständnisses. Dabei spielen unterschiedliche Sichtweisen, scheinbare oder tatsächliche Schuldzuweisungen aber auch Widerstände und Aggressionen eine Rolle. Deshalb ist es wichtig, solche Gespräche wertschätzend, respektvoll, achtsam und interessiert zu führen und gut vorzubereiten. Grundfragen können dabei sein: Welches Ziel hat das Gespräch? Wer sollte daran teilnehmen, wo sollte es stattfinden? Wie können Gespräche in einer hilfreichen Art und Weise ablaufen? Wie kann eine offene Gesprächsatmosphäre erreicht werden? Wie kann der notwendige Daten- und Personenschutz gewährleistet werden?

Eine noch größere Herausforderung ist jedoch der Umgang mit betroffenen Kindern. Denn bei Verdachtsmomenten und Eingriffen sind immer tiefgreifende Lebensbereiche tangiert. Das Netzwerk für Frühprävention, Sozialisation und Familie (KiNET 2011) weiß: „Kinder in schwierigen Lebenssituationen neigen dazu, sich zu isolieren. Dies kann geschehen, indem sie sich zurückziehen oder auch, indem sie sich besonders ‚schwierig‘ oder aggressiv verhalten und so andere Kinder oder die Erzieherinnen verschrecken. Die besondere Herausforderung besteht darin, diese Kinder aus ihrer Isolation zu holen und sie in den Alltag der Kindertagesstätte zu integrieren. Stabile, sichere Beziehungen sind für die Bewältigung schwieriger Lebenssituationen besonders wichtig. Im Mittelpunkt des pädagogischen Handelns muss daher der Aufbau dieser sicheren Bindungen stehen.“

Fragen zur Einschätzung

  • Sind die Anzeichen zum ersten Mal aufgetreten?
  • Welche Anzeichen wurden beobachtet?
  • Über welchen Zeitraum?
  • In welchen Situationen?
  • Besteht die Gefahr der Wiederholung?
  • Sind die Eltern (vermutlich) in der Lage, Hilfe anzunehmen?
  • Welche Hilfe wäre geeignet oder notwendig?
  • Liegt eine akute Notsituation vor?
  • Ist es erforderlich, sofort das Jugendamt oder die Polizei einzuschalten?

(KINET 2010, S. 14)

 

 

Der formale Ablauf nach § 8a SGB VIII

1. Erkennen

  • Erkennen einer möglichen Kindeswohlgefährdung aufgrund einschlägiger Indikatoren und Hinweise.

2. Erste (vorläufige) Gefährdungseinschätzung

  • Rücksprache mit Kolleginnen und Kollegen oder vorgesetzten Personen (Datenschutz beachten)
  • erste Einschätzung der Situation
  • erste Abklärung des weiteren Vorgehens

3. Erarbeitung einer vertiefenden Gefährdungseinschätzung

  • Gibt es Hilfebedarf oder ist dies mit eigenen Mitteln zu bewältigen?
  • Hinzuziehung einer sog. „insofern erfahrenen Fachkraft“
  • Information und Einbeziehung der Eltern

4. Bei drohender oder akuter Kindeswohlgefährdung

  • Information des Jugendamtes/Übergabe des Falles
  • weiterer Kontakt zum Jugendamt, zu den Eltern, zum Kind
  • Vermittlung und Begleitung von Hilfen
  • detaillierte Dokumentation des Vorgehens, der Beobachtungen und Gespräche

5. Nacharbeit

  • Nachbesprechungen und systematische Reflexion von Fällen

(Lillig 2007, S. 43–1)

 

Mögliche Fehler
Reinhart Wolf (2006, S. 46–2 ff.) benennt fünf Problemfelder, in denen leicht Fehler unterlaufen können und somit Kindern eher schaden als helfen:

  • Mediale Inszenierungen: Die permanente Inszenierung und Skandalisierung von (sexueller) Kindesmisshandlung kann leicht zu einer „Unschärferelation“ in der eigenen Wahrnehmung führen.

  • Doppeltes Mandat: Hilfe als strategische Orientierung des Kinder-schutzes schließt den kontrollierenden Eingriff zum Schutz des Kin-des wie der Eltern nicht aus, wohl aber Täterermittlung, Täterverfolgung und Bestrafung. Dafür sind Polizei und Justiz zuständig.

  • Anamnese und Diagnosefehler: Es wird versäumt, die ganze Familie und das betroffene Kind nach den Regeln der Kunst umfassend zu untersuchen. Es werden wichtige Personen und Situationen ausgeblendet oder gar nicht wahrgenommen.

  • Methodische Prozessfehler: Eine problematische Kindfixierung kann zu einem Kontextverlust führen. Dann verliert Kinderschutz die gesamte Familie, die Eltern und die anderen Kinder, überhaupt die weiteren Lebensumstände aus den Augen, wird eindimensional und neigt zu unbedachten Spaltungen.

  • Aufkündigung der geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Familien.

 

Thema Sexualität
„Kinderschutz und Kindeswohl sind nicht ohne die Kategorie Sexualität und ohne den Gender-Begriff zu denken, wobei mit dem Letzteren die gesellschaftliche Ordnung der Geschlechterverhältnisse erfasst wird. Über kindliches Sexualwissen liegen nur einige empirische Untersuchungen vor. Auch die Kenntnisse von Eltern über menschliche Sexualität im Allgemeinen und kindliches Sexualhandeln im Speziellen sind kaum erforscht. Kinderschutz wird definiert als Schutz der Kinder vor sexuellen Übergriffen Älterer, zunehmend aber auch als Schutz der Kinder vor Sexualität überhaupt.

In der Praxis stehen Erzieherinnen, Erzieher und Eltern meist hilflos vor den Aus-prägungen kindlicher Sexualität und reagieren möglicherweise mit Wegschauen, Verschweigen, Nichtstun, Ignorieren – auch aus Angst. Wünschenswert aber ist ein Hinschauen: Wer erlebt Sexualität mit wem und warum? Welche Kinder werden warum und von wem gewählt? Hinschauen ist wichtig, um spätere Opfererfahrungen möglichst frühzeitig zu unterbinden.“
(Rabe­Kleberg/Damrow 2012, S. 34–39)

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