Familie und Kommune

Gewalt in der Familie

Gewaltprävention in der Schule kann ohne Einbeziehung der und Rückbindung an die Familie und das kommunale Umfeld nicht ge­lingen. Denn „Gewaltprävention muss schon in der Familie beginnen. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Kinder und Jugendliche Gewalt sozusagen erlernen. Wer als Kind gelernt hat, dass Konflikte mit Gewalt gelöst werden, tut dies vermehrt auch als Erwachsener. Um diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, haben wir in der vergangenen Legislaturperiode ein Recht des Kindes ‚auf gewaltfreie Erziehung‘ im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert. Es wurde klargestellt, dass Gewalt kein geeignetes Erziehungsmittel ist. Untersuchungen zeigen, dass die Häufigkeit körperlicher Bestrafungen in den letzten Jahren zurückgegangen ist“, so die Bundesjustizministerin Zypries (2003).

Formen der Gewalt in der Familie

Die Weltgesundheitsorganisation unterscheidet drei Formen von Gewalt in der Familie: Gewalt gegen Intimpartner, Kindesmiss- brauch und Vernachlässigung durch Eltern und andere Fürsorge­personen und Misshandlung alter Menschen (WHO 2003, S. 20).

Gewalt gegen Intimpartner
Diese Gewalt gibt es ohne Ausnahme in allen Ländern und Kulturen, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität. Ein Viertel aller Frauen in allen Ländern erfahren mindestens einmal in ihrem Leben physische Gewalt und mehr als ein Zehntel werden Opfer sexueller Gewalt. Die häufigsten Gewaltakte gegen Männer und Frauen geschehen in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld, meistens von ihren Partnern oder Ex-Partnern. 25 % der Fauen in Deutschland im Alter zwischen 16 und 85 Jahren haben eine Form der körperlichen und/oder sexuellen Gewalt durch einen Beziehungspartner erlebt (Der Paritätische 2008, S. 10; BMFSFJ 2004, S. 10; Gugel 2007, S. 148).

Es sind verschiedene Faktoren, die bei Gewalt zwischen Intimpart­nern zusammenwirken. Zu den individuellen Faktoren gehört insbesondere die Vorgeschichte des Mannes, vor allem ob er in seiner Herkunftsfamilie erlebt hat, dass seine Mutter geschlagen wurde. Aber auch Alkoholmissbrauch stellt sich in vielen Untersuchungen als ein wichtiger Faktor heraus. Auf der zwischenmenschlichen Ebene sind Beziehungskonflikte und Unstimmigkeiten sowie Einkommensschwäche wichtige Einflussfaktoren. Wie der genaue Zusammenhang zwischen niedrigem Einkommen und Gewaltrisiko ist, ist allerdings noch unklar. Es könnte sein, dass finanzielle Schwierigkeiten oft Anlass für eheliche Auseinandersetzungen bieten oder es Frauen schwerer machen, aus gewaltträchtigen oder unbefriedigenden Beziehungen auszubrechen. Gewalt könnte aber auch das Ergebnis anderer mit Armut einhergehenden Faktoren sein, beispielsweise durch beengte Wohnverhältnisse oder das Gefühl der Hoffnungslosigkeit ausgelöst werden.

Gewalt in der Familie Historisch gesehen sind die Familien wegen ihrer Zurückgezogenheit und geschützten Privatsphäre wahrscheinlich die letzte Bastion der direkt ausgeübten körperlichen Gewalt. (...)

Nach den vorliegenden Studien befürworten und praktizieren heute noch etwa 10% der Eltern eine „Tracht Prügel“ als ein angemessenes Erziehungsmittel, weitere etwa 40% wenden andere Formen der physischen Gewalt wie etwa Schläge und Ohrfeigen an. (...)

Viele Eltern zwingen sich vernunftmäßig, körperliche Gewaltformen zu unterdrücken, verfügen aber oft nicht über adäquate Alternativen, um den Kindern gegenüber ihren Regelungsanspruch und ihre Autorität als Mutter oder Vater durchzusetzen.
Klaus Hurrelmann/Heidrun Bründel: Gewalt an Schulen. Pädagogische Antworten auf eine soziale Krise. Weinheim und Basel 2007, S. 51 f.

Gewalt gegen Kinder durch Eltern und andere Fürsorgepersonen
Kinder werden von ihren Eltern und anderen Fürsorgepersonen immer wieder missbraucht, misshandelt und vernachlässigt. Im Allgemeinen sind kleinere Kinder der körperlichen Misshandlung am stärksten ausgesetzt, während die höchsten Raten des sexuellen Missbrauchs unter Kindern in der Pubertät oder unter Jugendlichen zu finden sind. In den meisten Fällen werden Jungen häufiger geschlagen und überhaupt körperlich bestraft als Mädchen, während letztere stärker der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer von Kindestötung, sexuellem Missbrauch und Vernachlässigung zu werden und auch häufiger zur Prostitution gezwungen werden.

Gewalterlebnisse durch Eltern sind insbesondere in der Kindheit recht häufig. Während bezogen auf die Kindheit lediglich 42,1 % der Befragten 15-Jährigen keinerlei gewalttätige übergriffe der Eltern berichten, sind dies im Hinblick auf die letzten zwölf Monate vor der Befragung immerhin 73,4 %. Mit dem Heranwachsen der Kinder geht also das Ausüben von Gewalt durch die Eltern deutlich zurück. Insgesamt 15,3 % der Befragten geben an, vor ihrem zwölften Lebensjahr schwerer Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein; von diesen können 9 % als Opfer elterlicher Misshandlungen in der Kindheit bezeichnet werden. In der Jugend nimmt der Anteil der von schwerer Gewalt Betroffenen auf 5,7 % und der von Misshand­lung Betroffenen auf 4,1 % ab (Baier/Pfeiffer 2009, S. 52). Die elterliche Gewalt geht sowohl in der Kindheit als auch der Jugend zu nahezu gleichen Teilen von Müttern und Vätern aus.

Risikofaktoren erhöhen die Gefahr für Kinder, misshandelt zu werden, hierzu gehören u.a. allein erziehende Elternteile, sehr junge Eltern, keine Unterstützung in einer Großfamilie, beengte Wohnverhältnisse usw.

Misshandlung alter Menschen
Die Misshandlung alter Menschen durch Verwandte oder andere Fürsorgepersonen wird in zunehmendem Maße als schwerwiegendes soziales Problem erkannt. Das Problem könnte sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, da die Bevölkerung in vielen Ländern rasch altert. ältere Männer sind in etwa dem gleichen Risiko der Misshandlung durch Ehepartnerin, erwachsene Kinder und andere Verwandte ausgesetzt wie Frauen.

Während in der Altersgruppe der 60- bis 85-Jährigen etwa jede vierte befragte Person angibt, innerhalb der letzten 12 Monate verbal aggressives Verhalten und andere nicht körperliche Formen von Aggression durch nahestehende Personen erlebt zu haben, berichten nur relativ wenige ältere Befragte auch über körperliche Gewalt. Frauen werden in etwas stärkerem Maße als Männer Opfer von physischer Aggression durch Familien- und Haushaltsmitglieder. Rund 15 % der Befragten über 60 Jahre, die Pflege- und Hilfebedarf bejahten, berichteten problematisches Verhalten von Pflege- und Betreuungspersonen, vor allem verschiedene Formen der Missachtung von Autonomie und Würde (13 %) und der pflegerischen Vernachlässigung (6 %) (BMFSFS 2009, S. 20 f.).

Kinder sind unschlagbar! Der Deutsche Kinderschutzbund rief 2004 zum ersten Mal den Tag für gewaltfreie Erziehung aus. In den angelsächsischen Ländern hat der „No Hitting Day“ eine lange Tradition. Der Tag für gewaltfreie Erziehung soll:

  • die Bevölkerung daran erinnern, dass die Verantwortung für ein gewaltfreies Aufwachsen aller Kinder in unserem Land von allen geteilt werden muss.
  • Eltern dazu ermutigen, ihr Ideal einer gewaltfreien Erziehung Wirklichkeit werden zu lassen.

Presseerklärung des Deutschen Kinderschutzbundes zum 30. April. Hannover, 28. April 2006. www.kinderschutzbund.de

Häusliche Gewalt
Häusliche Gewalt äußert sich

  • auf der körperlichen Ebene z.B. durch Schlagen, Treten, Würgen, Ein­satz von Waffen ...;
  • auf der psychischen Ebene z.B. durch Beschimpfen, Erniedrigen, Demütigen, Drohen, Erpressen ...;
  • auf der sexuellen Ebene z.B. durch erzwungenen Körperkontakt und sexuelle Handlungen, durch versuchte oder vollzogene Vergewaltigung;
  • auf der wirtschaftlichen Ebene z.B. durch Geldentzug oder Verbot, eigenes Geld zu verdienen;
  • auf der sozialen Ebene z.B. durch Kontaktverbot, Isolation, Einsperren. Den Opfern häuslicher Gewalt fällt es oft schwer, sich vom Misshandler zu trennen. Gründe hierfür sind:
  • Gewaltbeziehungen können eine Dynamik entfalten, die eine zerstöre­risch bindende Wirkung hat.
  • Gewalterfahrungen und Miterleben von häuslicher Gewalt in der Kind­heit können dazu führen, dass Gewalt in der eigenen Partnerschaft nicht hinterfragt wird.
  • Trennung/Scheidung sind verbunden mit Sorgen um die finanzielle Absicherung, den sozialen Status, Angst um die Kinder und – insbesondere bei Migrantinnen – auch Angst vor familiärer ächtung und/oder Verlust der Aufenthaltserlaubnis.
  • Trennung und Scheidung bergen in Gewaltbeziehungen ein erhöhtes Risiko der Gewalteskalation bis hin zu Entführungs- und Tötungsdelikten.

Der Paritätische, Landesverband Baden-Württemberg e.V. (Hrsg.): Sprich mit mir! Kinder und Jugendliche gegen häusliche Gewalt. Teil 1: Grundlegende Informationen. Stuttgart 2008, S. 8 f.

Die Bedeutung der Familie für die Entstehung von Gewalt und Gewaltfreiheit

Die Familie, deren traditionelle Form in der Auflösung begriffen ist und deren Ausprägung heute vielfältige Formen angenommen hat, steht im Schnittpunkt zwischen Gesellschaft und Individuum. Sie ist die Stelle, an der die gesellschaftlichen Verhältnisse die Interaktionsmuster der Individuen formen und deformieren. Sie vermittelt die ersten und grundlegenden sozialen Erfahrungen und ist der erste Sozialisationsbereich. Die Eltern (oder familienersetzende Einrichtungen) beeinflussen die Einstellungen und das Verhalten ihrer Kinder im Wesentlichen so:

  • sie bestimmen durch ihre Zuwendung oder Ablehnung die emotionale Grundorientierung ihres Kindes;
  • sie dienen als Modelle für die Nachahmung (Identifizierung), so dass die Kinder von ihnen Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen übernehmen;
  • sie vermitteln den Kindern einen sozialen, kulturellen, ethischen und nationalen Kontext für ihr Denken und Handeln;
  • sie prägen durch ihre Beziehungen zueinander und zu den Kindern deren weitere Persönlichkeit.

Die Bedeutung dieser familiären Erfahrungen zeigt sich u.a. auch daran, dass bei Untersuchungen über auffällige, delinquente, aggressive und gewalttätige Jugendliche immer schwierige Familienverhältnisse verbunden mit enormen emotionalen Defiziten zu finden sind.

„Red Flags“
Warnzeichen für häusliche Gewalt

Das gleichzeitige Auftreten mehrerer dieser Indikatoren erfordert verstärkte Aufmerksamkeit:

  • chronische Beschwerden, die keine offensichtlichen physischen Ursachen haben;
  • Verletzungen, die nicht mit der Erklärung, wie sie entstanden sind, übereinstimmen;
  • verschiedene Verletzungen in unterschiedlichen Heilungsstadien;
  • ein Partner, der übermäßig aufmerksam ist, kontrolliert und sich weigert von der Seite der Frau zu weichen;
  • physische Verletzungen während der Schwangerschaft;
  • später Beginn der Schwangerschaftsvorsorge;
  • häufige Fehlgeburten;
  • häufige Suizidversuche und -gedanken;
  • Verzögerungen zwischen Zeitpunkt der Verletzung und Aufsuchen der Behandlung;
  • chronische reizbare Darmstörungen;
  • chronische Beckenschmerzen.

L. Heise u.a. 1999.Zitiert nach Robert Koch Institut: Gesundheitliche Folgen von Gewalt. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 42. Berlin 2008. S. 31.

Gewaltprävention in der Familie

Wie Frauen und Männer Gewalt erleben
Eine Befragung von 8.000 Frauen und 8.000 Männern in den USA kommt zu folgendem Ergebnis:

  • Frauen erleben Gewalt überwiegend im privaten Raum durch männliche Beziehungspartner.
  • Gewalt gegen Frauen ist häufig sexualisierte Gewalt.
  • Für Frauen erhöht sich das Verletzungsrisiko, wenn der Gewalttäter der Partner ist.

Anders das Gewaltmuster, das Männer erleben:

  • Männer erleben Gewalt überwiegend im öffentlichen Raum durch andere Männer.
  • Gewalt gegen Männer ist seltener sexualisierte Gewalt.
  • Für Männer senkt sich das Verletzungsrisiko, wenn die Partnerin die Gewalttäterin ist.“

Barbara Kavemann: Kinder und Jugendliche im Kontext häuslicher Gewalt – Orientierung in einer gespaltenen Diskussion. Zusammenfassung des Vortrags für den Fachtag der Landesstiftung Baden-Württemberg/des DPW Baden-Württemberg am 20.11.2005 in Stuttgart, S. 2 f.

Die Zusammenhänge von erlebter Gewalt in der Kindheit und spä- ter angewendeter Gewalt wurden vielfältig empirisch belegt (Pfeiffer u.a. 1999, S. 38; Baier/Pfeiffer 2009, S. 51 ff.). Die Untersuchungen gehen dabei von einem Zusammenspiel von selbst erlebter und in der Familie beobachteter (Partner-)Gewalt aus. Dieses Zusammenspiel, verbunden mit internalisierten subjektiven Normen der Eltern und der Peergruppen, beeinflusst die Einstellung zur Gewalt maßgeblich und kann zu eigenem aktiven Gewalthandeln führen. Das Fazit dieser Studien: Eine Beendigung der innerfamiliären Gewalt im Jugendalter trägt dazu bei, die Rate der Gewalttäter deutlich zu reduzieren. Die niedrigsten Gewalttäterraten sind bei den Jugendlichen zu finden, die während der Kindheit, also vor dem zwölften Lebenjahr, keinerlei körperliche Gewalt von ihren Eltern erfahren mussten (Baier/Pfeiffer 2009, S. 80). Der Rückgang selbstberichteter Jugendgewalt sei auf mehrere Entwicklungen zurückzuführen:

  • Einen Wandel des Erziehungsverhaltens der Eltern: Die Verminderung der Viktimisierung durch innerfamiliäre Gewalt. Untersuchungen stellen in den letzten Jahren einen Rückgang der elterlichen Gewalt (insbesondere der körperlichen Züchtigung) fest (Brettfeld und Wetzels 2003; Baier/Pfeiffer 2009).
  • Veränderung von Einstellungen Jugendlicher: Erhöhte Ablehnung von Gewalt bei jugendlichen Bezugsgruppen.
  • Veränderung der eigenen Einstellung: Verminderte Gewaltbe­fürwortung durch Jugendliche.

Elternseminare Die Berliner Elternseminare sind eine Erfolgsgeschichte. über vierzig Schulen, darunter Grund-, Haupt- und Gesamtschulen, machen mit. Sie bieten den Eltern Seminare an, um sie bei Erziehungsfragen und Schulproblemen zu unterstützten. Die Elternseminare bauen auf der simplen Erkenntnis auf, dass Bildung nicht ohne Erziehung funktioniert und dass Eltern und Lehrer dafür an einem Strang ziehen müssen. Speziell ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer leiten die Seminare. In kleinen Gruppen mit höchstens zwölf Teilnehmern werden familiäres Konfliktmanagement und Krisenprävention an so scheinbar einfachen Themen wie Taschengeld, Fernsehen, Haushaltsdienst und Hausaufgaben abgearbeitet.
Die Zeit, 27.12.2007, S. 68.

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