Jugendgewalt

Pubertäre Normalität

Jugend ist heute eine lang gestreckte Lebensphase, die durchschnittlich etwa 15 Jahren dauert. Sie beginnt so früh wie noch nie und besitzt kein klar markiertes Ende. Es ist für Jugendliche unklar, ob sie in den gewünschten Beruf hineinkommen und ob sie eine traditionelle Familie gründen. Dadurch ist eine große Offenheit entstanden mit vielen Ungewissheiten (vgl. Hurrelmann 2005). Jugendliche müssen so in einer immer undurchschaubarer gewordenen Welt ihren Platz finden, ohne selbst über die notwendigen Steuerungs- und Orientierungsmöglichkeiten zu verfügen, ohne Vorbilder und ohne wirkliche Chance, aus ihrem Milieu herauszukommen.

Hirnforscher weisen darauf hin, dass das jugendliche Gehirn noch nicht ausgereift ist und dass sich das Urteilsvermögen oft bis zum Alter von 25 Jahren entwickelt. Jugendliche haben anders als Erwachsene ein geringer ausgeprägtes Verantwortungsgefühl und sind anfällig für äußere Einflusse. Der Hirnforscher Laurence Steinberg stellt fest, dass mit 16 Jahren jener Teil des Gehirns, der nach Action schreit, schon voll ausgeprägt sei, sein Gegenspieler, die im Stirnlappen sitzende kontrollierende Instanz, entwickle sich dagegen noch (Ritter 2008).

In der Kriminologie werden Jugendkriminalität und Jugendgewalt vor allem als Ergebnis entwicklungstypischer Verhaltensweisen und als ein Begleitphänomen im Prozess der Entwicklung einer sozialen und individuellen Identität wahrgenommen (vgl. Maschke 2003). Ca. 90 Prozent der jungen Männer haben im Kindes- und Jugendalter irgendwann gegen strafrechtliche Vorschriften verstoßen.

Gefordert „Jetzt sind die Erwachsenen gefordert: Nach heutigem Wissen praktizieren Eltern und Lehrer, die ihre oder die ihnen anvertrauten Kinder in dieser Zeit nicht unterstützen und Erziehung nicht ernstnehmen, eine Form der fahrlässigen Vernachlässigung.“
Gabriele Haug-Schnabel/ Nikolas Schnabel: Pubertät. Eltern-Verantwortung und Eltern-Glück. Ratingen 2008, S. 169.

Probleme der Erwachsenen mit pubertärem Verhalten

  • Ihnen macht die Vorstellung Angst, Jugendliche (ihre Kinder) könnten in diesem Zustand von emotionaler Labilität und Impulsivität stehen bleiben.
  • Das immer wieder neue Infragestellen und Hinterfragen des Bestehenden (von Entscheidungen, Gewohnheiten, Abläufen, Werten usw.) ist nervenaufreibend.
  • Das Ausloten von Grenzen und die damit verbundenen Grenzüber­schreitungen bringen ständige Auseinandersetzungen mit sich, die als lästig und unnötig empfunden werden.
  • Das immer wieder neue Rechtfertigen-Müssen der eigenen Meinungen und Verhaltensweisen empfinden sie als lästig.
  • Angesichts der Energie und Dynamik der Jugend nehmen Erwachsene das Schwinden ihrer eigenen Kräfte stärker wahr.
Gabriele Haug-Schnabel/Nikolas Schnabel: Pubertät. Eltern-Verantwortung und Eltern-Glück. Ratingen 2008.

Die meisten dieser jugendtümlichen Straftaten sind episodenhafter Natur. Schon die Alterskurve der Kriminalitätsbelastung für das Hellfeld zeigt, dass es sich bei den Straftaten junger Menschen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle um ein vorübergehendes Phänomen handelt (Lösel/Bliesener 2003, S. 9). Jugendliche verhalten sich temporär delinquent, weil es sich für sie in subjek­tiven Kosten-Nutzen-Bilanzen auszahlt. Das abweichende Verhalten hat zum Beispiel dann eine positive Funktion, wenn es dazu bei­trägt, sich von den Eltern und anderen Autoritäten zu lösen, den Selbstwert zu bestätigen und jugendtypische Ziele zu erreichen.

In der Mehrzahl der Fälle findet diese Art von Delinquenz auch ohne Intervention Dritter oder gar von Seiten der Strafverfolgungsinstanzen ihr Ende. Dieses Phänomen wird häufig mit dem Begriff der Spontanremission umschrieben, wonach Delinquenz im Jugend­alter im Regelfall von selbst aufhört (Maschke 2003).

Jugenddelinquenz ist also nicht per se ein Indikator für eine dahinterliegende Störung oder für Erziehungsdefizite. Im Prozess des Normenlernens, ist eine zeitweise Normabweichung zu erwarten und ein notwendiges Begleitphänomen für die Entwicklung Jugendlicher (vgl. Bundesministerium des Innern 2006, S. 357). Diese Feststellung bedeutet nicht, dass es keinen Handlungsbedarf gäbe, ganz im Gegenteil. Es geht darum, sich der Herausforderung einer Lebensbegleitung in dieser turbulenten Phase zu stellen, die nötigen Sicherheiten zu geben, aber auch zu verdeutlichen, wo Grenzen eingehalten werden müssen.

Kriminologische Längsschnittstudien belegen jedoch andererseits eine recht kleine Gruppe junger Menschen, die über viele Jahre bis ins mittlere Erwachsenenalter kriminelle Delikte begeht.

Zynisch und schamlos Wenn junge Leute mörderische Brandsätze legen oder Passanten zusammenschlagen, wäre es zynisch, nur darauf zu verweisen, dass die Gewaltkriminalität ausweislich der Kriminalstatistik seit Jahren sinkt und dass Deutschland noch nie in seiner Geschichte ein so sicheres Land war. Das ist zwar richtig, hilft aber dem nichts, der zusammengeschlagen wird, und auch nicht dem, der Angst hat. Es ist aber genauso zynisch und schamlos, den Leuten weiszumachen, man könne mit einer höheren Höchststrafe und mit der Errichtung von Kuckucksnestern Gewalttaten eindämmen und jugendliche Täter beeindrucken – wie der Wahlkämpfer Roland Koch das tut. Die Drillcamps für Jugendliche, von denen Koch und Co. jetzt schwadronieren, wären Brutstätten für noch mehr Gewalt.
Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, 9.1.2008.

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