Verhalten in akuten Gewaltsituationen

Täter - Opfer - Zuschauer

Für Jugendliche (und nicht nur für diese) hat Gewalt oft eine berauschende Wirkung, Gewaltszenen zählen zu den Höhepunkten ihres Lebens. über Gewalthandlungen können sie sich ein Maß an Aufmerksamkeit seitens der Erwachsenen verschaffen, das ihnen anders nicht zuteil wird. Gewaltsituationen spielen sich i.d.R. im Dreieck zwischen Täter, Opfer und Zuschauer ab. Die Rollen sind gerade bei Kindern und Jugendlichen nicht immer klar festgelegt und können in verschiedenen Situationen wechseln. Täter haben oft auch eigene Opfererfahrung, und Opfer können in anderen Situationen auch zu Tätern werden.

Zuschauer greifen oft nicht ein, weil andere dies auch nicht tun. Sie wissen meist nicht, wie sie Hilfe leisten können und heizen unbewusst durch ihr Neugierverhalten die Situation an. Zuschauer müssen deshalb lernen, ihre Gleichgültigkeit aufzugeben, ein­zugreifen, Situationen zu deeskalieren, Opfer zu stützen und zu schützen. Sie müssen lernen, wie angemessene Hilfe aussehen kann und wo fremde Hilfe zu finden ist und wie man Einsatzkräfte (z.B. über Notrufe) verständigt.

Opfer wissen meistens nicht, wie sie sich verhalten sollen. Sie haben oft wenig Selbstbewusstein und ein eher unterwürfiges Verhalten. Nur wenige Opfer können sich angemessen wehren oder Hilfe mobilisieren. Dritte müssen deshalb in der Gewaltsituation die Opfer schützen, müssen ihnen Hilfe und Betreuung anbieten und dürfen die Opfer nicht allein lassen.

Potenzielle Opfer müssen lernen, auf sich und die Situation aufmerksam zu machen, sich angemessen zu wehren, aus der typischen Opferrolle herauszukommen und Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Mangel an Zivilcourage Opfer fühlen sich immer wieder von der gesamten Gesellschaft im Stich gelassen. Dies ist insbesondere immer wieder nach rechtsextremen Ausschreitungen und übergriffen gegen ausländische Mitbürgerinnen und -mitbürger der Fall. Dies kann dazu führen, dass die Angegriffenen ihre Schuld nicht bei Tätern und Zuschauern, sondern bei sich selbst suchen. Sie fragen sich: Was habe ich falsch gemacht, dass mir niemand beistehen wollte? Das erlittene Trauma wiegt dadurch noch schwerer. Die Leute geben hinterher gern eine Spende für Opfer, aber die Polizei rufen oder vor Gericht als Zeuge aussagen, wollen sie immer seltener.
Vgl. Nadja Erb: Der Zuschauer-Effekt. In: Frankfurter Rundschau, 24.8.2007, S. 5.

Für viele Täter ist Gewaltanwendung legitim. Ihr Handeln ist auf sofortige Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet. Verletzungen anderer werden in Kauf genommen oder sind sogar das Ziel des Handelns. Sie suchen sich schwache Opfer aus und schirmen diese von anderen ab. Die Folgen ihrer Tat (für andere und sie selbst) werden ausgeblendet.

Deshalb müssen Täter lernen, dass sie zum einen die Folgen ihres Handels tragen müssen und zum andern ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen nicht auf Kosten anderer durchsetzen können. Weiter müssen sie lernen, Konflikte ohne Gewalt auszutragen und soziale Anerkennung auf legitime Art und Weise zu erwerben. Es ist notwendig, die Taten aufzudecken und nicht zu verschleiern, die Täter mit ihren Taten zu konfrontieren und Wiedergutmachung einzufordern. Jede Gewalttat sollte unverzüglich zu einer ange­messenen Reaktion führen, denn (potenzielle) Täter müssen klare Grenzen erkennen können.

Deshalb empfehlen die meisten Handlungsanweisungen für Gewaltsituationen drei Strategien: Sich selbst nicht unnötig in Gefahr zu bringen, das Opfer zu schützen und es ermöglichen, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

„Opfer“
Man muss nicht sonderlich viel von psychologischen Mechanismen wissen, um sofort zu verstehen, dass diejenigen, die am lautesten „Opfer“ schreien und dabei auf den anderen zeigen, selber Opfer gewesen waren und sind: Die Degradierung des anderen zum „Opfer“ meint die eigene Degradierung, die Degradierung als Kind, die Degradierung der eigenen Lust auf Leben und Wissen, der Neugierde und Suche nach menschlicher Nähe, der in Kindergarten und Schule dann häufig die soziale Degradierung, der soziale Ausschluss, folgte, eine zweite Entfernung aus einer doch nur gemeinsam zu erfahrenden Welt. Dann wird der Schwache wegen seiner Schwäche verhöhnt, und wer einmal Oper gewesen ist, verdient kein Mitleid mehr. Der Hass auf das eigene Opferdasein richtet sich nach außen, vermeintliche Stärke im eigenen Selbst aufrufend.

Die erfahrene Wertlosigkeit macht die anderen wertlos. Da das Opfer in einem selbst verachtet werden muss, um weiterleben zu können, werden die anderen verachtet. Um das Selbst zu stärken, wird von anderen bedingungsloser Gehorsam erwartet, denn das verschafft Stärke und Dominanz.

Claus Koch: Kinder aus dem Niemandsland – Jugendgewalt und Empathieverlust. In: Micha Brumlik (Hrsg.): Ab nach Sibirien? Wie gefährlich ist unsere Jugend. Weinheim/Basel 2008, S. 121.

Fragen

  • Sich einmischen oder heraushalten?
  • Welches sind die richtigen (angemessenen) Worte in der Situation?
  • Wie nahe kann man sich heranwagen – soll man besser Distanz halten?
  • Wie als Beteiligter (Opfer), wie als Zuschauer (Helfender) reagieren?
  • Wie kann man andere auf die Situation aufmerksam machen?
  • Wie kann man andere dazu bewegen, gemeinsam ein­zugreifen?
  • Wie und wo kann man Hilfe finden und holen?
  • Wie kann man Schaden begrenzen?
  • Wie kann man später dazu beitragen, den Täter zu identifizieren?
  • Wie kann man dem/den Opfer/n helfen?

Lehrkräfte haben Angst vor dem Eingreifen

Lehrkräfte sind auch in Gewaltsituationen Vorbilder und Ver­haltensmodell. Sie dürfen sich nicht zu unbedachten Handlungen hinreißen lassen oder Fehleinschätzungen, dass alles nicht so schlimm sei, erliegen. Es geht immer um das Begrenzen von übergriffen und das Deeskalieren der Situation. Dabei muss im Vordergrund stehen, die Gewalt schnell zu beenden und das Opfer zu schützen. In einem zweiten Schritt erfolgen dann die Klärung des Geschehens und die Bereinigung der Situation in Form von Entschuldigungen, Wiedergutmachungen usw.

Das Maß des Eingreifen von Lehrkräften hat direkten Einfluss auf das Maß der Opfererfahrungen von Schülern (Baier/Pfeiffer 2009, S. 61.) Untersuchungen in Schulen zeigen jedoch, dass viele Lehrkräfte eher wegsehen als eingreifen. Eine Untersuchung an Bremer Schulen stellt fest, dass jede/r fünfte Schülerin bzw. Schüler der Sekundarstufe I und sogar jede dritte Schülerin bzw. jeder dritte Schüler der Sekundarstufe II glaubt, dass bei einem Angriff auf die eigene Person das Aufsichtspersonal fast immer Angst habe einzugreifen (vgl. Akademie 2003, S. 23).

In einer neuen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (vgl. Baier/Pfeiffer 2009, S.61 ff.) geben knapp 80 % der Schülerinnen und Schüler aus Süddeutschland (und 71 % aus Ostdeutschland) an, ihre Lehrkräfte würden bei Gewaltvorfällen einschreiten. Aber bei den Schulformen gibt es erhelbliche Unterschiede. Lediglich 65 % der Förderschüler, 70 % der Gesamtschüler, jedoch 82 % der Gymnasiasten und Waldorfschüler berichten von einem Eingreifen der Lehrkräfte.

Die Bremer Studie (Akademie 2003) gibt dabei zu bedenken, dass körperliche Gewalt gegen Lehrer einen absoluten Ausnahmefall darstelle, der zudem härteste Konsequenzen für den betreffenden Schüler zur Folge habe. Eine konkrete Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit von Lehrkräften sei damit kaum vorhanden. Deshalb sei die Thematisierung und Reflexion der aus Sicht der Schüler stark verbreiteten ängste bei Lehrkräften ein wichtiger erster Schritt für den Gewinn von Verantwortung, Autorität und Zivilcourage.

Mögliche Motive für die fehlenden Konfliktinterventionen durch das Aufsichtspersonal seien neben ängsten und fehlender Zivilcourage sicherlich auch eine wenig ausgeprägte Identifikation der Lehrer mit der Schule, Desillusionierung und schlichtes Desinteresse.

Doch nicht nur viele Lehrkräfte, sonder auch viele Schülerinnen und Schüler sehen bei Gewalt eher weg oder sogar zu. Jeweils ein Drittel der befragten Schülerinnen und Schüler aus den Sekundarstufen I und II gehen bei einem Angriff auf die eigene Person davon aus, dass ihre Mitschülerinnen und Mitschüler fast immer Angst haben einzugreifen. Wirklich alarmierend sei der Befund, dass jeder siebte Schüler aus dem Bereich der Sekundarstufe I davon ausgeht, die Mitschüler würden nicht das Opfer, sondern den Täter unterstützen und sich fast immer an dem Angriff beteiligen. In der Sekundarstufe II befürchten dies noch immer fünf Prozent, also jeder zwanzigste Schüler (vgl. Akademie 2003, S. 23 f.). Dies bedeutet, dass hier akuter Handlungsbedarf besteht. Lehrkräfte müssen ebenso geschult und trainiert werden wie Schülerinnen und Schüler.

Eingreifen Um ein „Eingreifen“ in Problemsituationen zu fördern, wurden u.a. von der Polizei, dem Bundesgrenzschutz, von Regionalstellen gegen Ausländerfeindlichkeit, von Mitarbeitern in Jugendhäusern, von Anti-Aggressions­Trainern u.a. „Kurzanleitungen“ entwickelt, die in wenigen Punkten wichtige Verhaltensregeln formulieren (vgl. M4, M5).
Eine Zusammenstellung dieser Handlungsmöglichkeiten ist abrufbar unter: www.friedenspaedagogik.de/ themen/konflikt/bedroh/ in_bedr.htm

Antizipierte Verhaltensweisen

 

Reaktionen auf GewalthandlungenPhysiologische Reaktionen bei Gewalthandlungen

Wenn Gefahr oder Bedrohung wahrgenommen werden veranlasst im Gehirn der Hypothalamus die Nebennieren, Adrenalin in den Blutstrom abzusondern. Dieses Hormon hat verschiedene Wirkungen (siehe Schautafel).

Vgl. Glynis M. Beakwell: Aggression bewältigen. Bern 1998, S. 54 f

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