Jugendliche in Krisensituationen

Jugendliche in Krisensituationen

Konflikt- und Krisensituation gehören zu den Zumutungen des menschlichen Lebens und sind oft mit sog. Schwellensituationen verbunden, d.h. mit Übergängen vom Kind zum Jugendlichen, vom Jugendlichen zum Erwachsenen, von Schule zum Beruf oder aber auch mit plötzlichen eher schicksalhaften Ereignissen wie schweren Krankheiten, Unfällen oder Tod in der Familie.

Krisensituationen sind existentielle Konflikte, die subjektiv als äußerst belastend erlebt werden. Die meisten Kinder und Jugendlichen sind davon betroffen und die meisten können trotz allem erstaunlich gut damit umgehen. Doch nicht alle erleben Krisensituationen als Herausforderung und können sie bewältigen. Viele erleben sie auch als überforderung, verbunden mit dem Gefühl der Ausweglosigkeit, und sind dringend auf Unterstützung und Hilfe angewiesen. Das Leben erscheint bei einer Zuspitzung der Krise oder mangelnder Bearbeitung und Unterstützung plötzlich ohne Sinn und Perspektive.

Warum fühlen sich so viele Kinder überfordert?
Spitzer: Wir Erwachsene nei­gen dazu, an Kindern nur die Schwächen zu sehen. Man reitet darauf herum, was sie nicht oder noch nicht können. Das erzeugt bei ihnen Stress. Auch in der Schule geschieht das viel zu häufig. Deshalb wird die Schule von vielen Kindern als Stress erlebt und nicht als Ort, an dem mit ihren Stärken gearbeitet wird – und an dem sie Neues lernen können. Genau dadurch macht jedoch das Lernen überhaupt erst Spaß.
Manfred Spitzer, Hirnforscher, in: Südwest Presse,
22.7.2008, S. 4.

Lebenskritische Ereignisse

Merkmale der Jugendzeit

Jugend ist heute äußerst vielschichtig und nicht als Einheit zu verstehen (vgl. Hafenecker 2008, S. 93). Sie beginnt mit ca. zwölf Jahren und geht oft bis Mitte zwanzig. Sie ist für die meisten Jugendlichen zu einer Zeit der Schul- und Ausbildung geworden und dadurch eine verschulte Zeit. Jugendliche werden biologisch und soziokulturell früh erwachsen, sind jedoch sozioökonomisch von den Eltern oder staatlichen Leistungen abhängig. Die Gleichaltrigengruppe ist die primäre Gesellungsform und hat zentrale Bedeutung für Entwicklung und Orientierung Jugendlicher. Medien und Jugendkultur sind heute leitende Sozialisationsfaktoren, denn Jugendwelt ist immer auch Medienwelt. Bildungsabschlüsse bedeu­ten für die heutige Jugend noch keinen Arbeitsplatz oder sichere Zukunftsperspektiven. Risiken und Unsicherheiten begleiten die Jugendzeit, denn die Jugendzeit ist lang.

Jugendliche Entwicklungsaufgaben

Die Besonderheiten des Jugendalters liegen in den vielfältigen Veränderungen und Umbrüchen. Wandel ist das eigentliche Merkmal und Thema des Jugendalters. Anstehende Entwicklungsaufgaben beinhalten Lernthemen, in denen Jugendliche gesellschaftliche Erwartungen, physische Reifungsvorgänge und individuelle Zielsetzungen miteinander verbinden müssen. Dabei geht es um die produktive Bewältigung vielfältiger Veränderungen und Aufgaben (vgl. Schmidtchen 2003, S. 30 ff.):

  • Freundschaftliche Beziehungen: Freundschaften schließen können, differenzierte Rollenanforderungen von Peergruppen erfüllen und sexuelle Partnerschaften eingehen.
  • Akzeptanz der veränderten Körperlichkeit und Erwerb von sexuellen Kompetenzen: Das wichtigste biologische Kennzeichen des Jugendalters ist die körperliche Reifung zur erwachsenen Frau und zum erwachsenen Mann. Sie erfordert die Konstruktion eines sexualitätsorientierten Selbstbildes.
  • Schulabschluss und Vorbereitung auf die berufliche Laufbahn: Erwerb von Schulabschlüssen. Anpassung an Erfordernisse des Arbeitsmarktes. Bewältigung von vergeblichen Bewerbungen um Ausbildungs- und Arbeitsplätze.
  • Bildung einer Identität, Weltanschauung und Zukunftsperspektive: Zur Identitätsbildung gehört auch der Erwerb einer Weltanschauung und die Besinnung auf Werte, die als Richtschnur des Verhaltens dienen sollen. Die Entwicklung stabiler beruflicher und familienbezogener Zukunftsperspektiven ist jedoch wegen der schnellen gesellschaftlichen änderungen schwierig.
  • Loslösung von den Eltern: Da für die meisten Jugendlichen aus finanziellen Gründen eine äußere Loslösung von den Eltern nicht möglich ist, kann der Weg zur Eigenständigkeit nur in Form einer „inneren Trennung“ gegangen werden. Ziel dieser psychosozialen Trennung ist die Asymetrie der bisherigen Eltern-Kind-Beziehung in Richtung auf eine gleichgewichtige Partnerschaft zu verändern.

Konflikte sind nötig Konflikte sind für den Umgestaltungsprozess nötig. Wenn Eltern sich nicht einmischen, nicht protestieren, nicht auf die Barrikaden steigen und um den Erhalt ihrer Vorstellungen kämpfen, also keinen Gegenpol bieten, von dem man sich abgrenzen kann, muss der Jugendliche den Kampf, um weiterzukommen, mit sich selbst führen. Stoßen seine übergriffe nicht auf Widerstand, (...) müssen seine Provokationen immer schärfer, d.h. automatisch immer gefährlicher und nachhaltig riskanter werden.
Gabriele Haug-Schnabel/ Nikolas Schnabel: Pubertät
– Eltern-Verantwortung und Eltern-Glück. 2. Aufl., Ratingen 2008, S. 26.

Jugendliche gehen bei diesen Entwicklungen oft in deutliche Distanz bis zur bewussten Abgrenzung zur Erwachsenenwelt. Sie sprengen Tabus, provozieren, um festzustellen, was erhaltenswert ist, und fallen negativ auf, um wahrgenommen zu werden. Gabriele Haug-Schnabel (2008, S. 17) weist darauf hin, dass sich in der Pubertät bei Jugendlichen ein neues Selbstverständnis entwickelt, bei dem sie zu sich finden. Dabei werden wichtige Teile des Gehirns noch einmal massiv umgebaut und dadurch die Voraussetzungen für selbständiges Denken, Planen und Handeln gewonnen. „Verbundenheit in Autonomie“ sei das Entwicklungsziel.

Bereits die „normalen“ Entwicklungsaufgaben stellen eine große Herausforderung dar. So klagt z.B. jede fünfte Schülerin bzw. jeder fünfte Schüler über Stress in der Schule, und jede Dritte/ jeder Dritter berichtet von Versagensängsten in der Schule (Kinderbarometer 2008, S. 186). Kommen weitere Belastungen durch lebenskritische Ereignisse hinzu, geraten viele Jugendliche an die Grenzen ihrer Verarbeitungs- und Bewältigungskapazitäten. Dann sind vielfältige Unterstützungs- und Bewältigungsangebote notwendig, damit nicht auf destruktive Strategien zurückgegriffen werden muss.

Wie Kinder und Jugendliche Krisensituationen erleben
„Da meine Eltern sich letzten Sommer getrennt haben, lebe ich jetzt mit meiner Mutter und Schwester allein. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass meine Eltern sich wieder versöhnen.“
Mädchen, 11 Jahre,Gymnasium

„Ich bin kleben geblieben. Ich muss also das 9. Schuljahr wiederholen. Und das ist Scheiße für mich. Ich zeige das nicht, aber innerlich tut es mir voll weh.“
Junge, 15 Jahre, Hauptschule

„Vor einigen Tagen ist mein Vater verstorben und es reißt einem die Beine unter dem Körper weg. Meine Mutter und ich sind nun allein. Alles wird anders. Nichts ist wie vorher.“
Mädchen, 18 Jahre, Berufskolleg

„Ich bin in der 9. Woche schwanger. Der leibliche Vater will mit dem Kind nichts zu tun haben. Meine Familie weiß nichts von meiner Schwangerschaft, ich habe Angst, es ihnen zu sagen.“
Mädchen, 18 Jahre, Berufskolleg

Jürgen Zinnecker u.a.: null zoff & voll busy. Die erste Jugendgeneration des neuen Jahrhunderts. Opladen 2002. S. 101 ff.

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